Die Bauten des Paul Moebius. 1986

Die Spanne der Aufnahmen reicht von der Totale im Zusammenhang des staedtischen Umfeldes bis zum uebergroß gezeigten Tuerknauf. Inhaltlich bestimmte Aufnahmen und relativ abstrakt wiedergegebene Strukturen, ungewoehnliche Blickwinkel ergaenzen einander. Gerade in letzterem aeußert sich das hoechste Maß an Intimitaet, gibt es Schwingungsgleicheit von objektiv vorhandenen Strukturen und innerlich Formuliertem. Diese Beziehung macht den eigentlichen bildnerischen Vorgang aus. In diesem Fall wurde er mit großer handwerklicher Sorgfalt und materialgerechter Behutsamkeit umgesetzt.

Wenn aber schon vom Thema die Rede ist: Das heißt nicht nur Jugendstilarchitektur, sondern gleichzeitig auch Leipzig. Die Bewunderung, vielleicht auch Wehmut, die sich angesichts phantasievoller Formen einstellt, sind die Kehrseite heutiger Betonmentalitaet und Planerfuellungshast. Die farbliche und stoffliche Brillanz der Aufnahmen soll erst recht auf ihren appellhaften Charakter hinfuehren: Wer Leipzig kennt, weiß, worum es bei dieser Demonstration geht. Der kennt die zerbroeckelnden, amorphen Haeusermassen, den zu Haufen zusammengetriebenen Industriedreck auf den Buergersteigen und das vormittaegliche Grollen der Sprengungen in den Kohlegruben vor der Stadt. Es geht also auch darum, auf einen bedrohlichen Zustand aufmerksam zu machen, die Unvernunft sinnlich zu bezwingen durch das bildgewordene Argument. Sicher wirkt der Gegensatz von urspruenglicher Gestalt und heutiger Ueberformung im Einzelnen laecherlich, dieses Lachen bleibt jedoch bald im Halse stecken. Die Ironie dieser Bilder ist nicht inszeniert, die Widersinnigkeit der Raumsituation wird lediglich bewusst kombiniert, aber: Auch das ist Historie, wichtig genug, um festgehalten zu werden, um vor Augen gefuehrt zu werden.

Andreas Krase
Auszug aus: Die Haeuser des Paul Moebius in: Leipziger Blaetter 13. 1988. Seite 11

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